Die Mischung macht’s oder: Warum Fett allein gar nicht so schlimm ist
- Tanja Flockenhaus
- 2. Okt. 2017
- 3 Min. Lesezeit
Auch wenn Sie zu den Menschen gehören, denen es kalt den Rücken hinunterläuft, wenn sie das Wort „Ratte“ nur lesen – bitte schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit. Nur für fünf erkenntnisreiche Minuten. Länger dauert es sicher nicht, um diesen Beitrag über eine Reihe von Experimenten zu lesen, an deren Ende eine verblüffende Erkenntnis stand. Nämlich die, dass es nur geringe Auswirkungen auf das Zunehmen oder Abnehmen hat, wenn wir bei der Nahrungsaufnahme an der Menge von Fett oder Zucker etwas verändern – und dass die Nahrungsmittelindustrie ein Prinzip des menschlichen Gehirns nutzt, das auch bei Drogen funktioniert.

Professor Paul Kenny von der Mount Sinai School of Medicine ist Neurobiologe und forscht zu den Themen Adipositas und Suchtkrankheiten. Er wollte wissen, welche Sorte Nahrung wir mögen und warum. In seinen ersten Experimenten hat er die … nun, die vierbeinigen Versuchstiere mit Zucker gefüttert. Sie konnten so viel essen wie sie wollten, und sie aßen kräftig, nahmen davon aber nicht zu, weil sie dafür weniger von anderen Nährstoffen zu sich nahmen. So konsumierten sie am Tag im Schnitt etwa dieselbe Kalorienmenge, wie wenn sie keinen Zugang zu der zuckerhaltigen Lösung gehabt hätten. Professor Kenny stellte fest: Wenn man den Tieren so viel Zucker gibt, wie sie mögen, werden sie nicht dick.
An Nächstes bekamen die Versuchstiere so viel fettreiches Futter zu essen, wie sie mochten. Der unbegrenzte Zugang zu Fett sorgte dafür, dass sie etwas zunahmen, aber nicht viel. Ihr Körper kann damit umgehen, er hat Mechanismen die sagen: „Du hattest genug, hör auf zu fressen.“
Diese beiden Ergebnisse treffen auch auf uns Menschen zu: Dürfen wir so viel Sahne essen, wie wir möchten, finden wir den Geschmack langweilig. Dürfen wir so viel Zucker essen, wie wir wollen, ist er uns viel zu süß. Aber wenn wir beides mischen, finden wir das Ergebnis sehr lecker – ein gutes Beispiel ist Eiscreme. Der Grund dafür liegt in der Mischung von Fett und Zucker.
Mit dieser einfachen Erkenntnis verabreichte Paul Kenny seinen Versuchstieren nun Futter, das viel Fett und viel Zucker enthielt: Er gab ihnen Käsekuchen. Und sie hörten auf ihre bisherige Nahrung zu fressen. Sie stopften sich zwar mit dem Kuchen nicht voll, aber er wurde schnell zu ihrer Hauptkalorienquelle, und sie aßen immer wieder davon.
Die Tiere nahmen massiv zu, sie wurden bewegungsfaul und schliefen viel. Kenny stellte fest, dass sie für diese Kombination von Fett und Zucker keinen „Stoppschalter“ hatten, wie es bei nur Fett oder nur Zucker der Fall gewesen war. Die Fett-Zucker-Kombination nämlich lässt dieselben Belohnungssysteme im Gehirn reagieren wie bei einer Drogensucht: Man braucht die Drogen nicht, sie haben keinen Nährwert, keinen Brennwert, sie bringen einem nichts, außer, dass man sich gut fühlt. Am besten funktioniert übrigens eine Mischung aus Fett und Zucker, bei der die Anteile 50 : 50 betragen, wie Kenny herausfand. Ein Verhältnis übrigens, wie es in der Natur nirgends vorkommt.

Was Paul Kenny an Ratten entdeckt und belegt hat, ist auf den Menschen übertragbar. Dass nämlich die Kombination aus Fett und Zucker das Belohnungssystem im Gehirn zu stark stimuliert und dadurch den Kontrollmechanismus aushebelt, der uns sagt, wann wir aufhören sollen zu essen. Offenbar trägt die auch künstlich erzeugte Kombination aus Fett und Zucker maßgeblich dazu bei, dass wir Menschen in den Industrieländern immer dicker werden. Allein schon, dass für uns unendlich viele, relativ erschwingliche Nahrungsmittel nahezu unbegrenzt verfügbar sind, ist verführerisch. Und ein nicht unerheblicher Teil davon sind industriell gefertigte Lebensmittel, in denen genau diese Kombination aus Fett und Zucker zu finden ist, die sonst nirgends in der Natur vorkommt und die störend in unsere Kontroll- und Belohnungsmechanismen eingreift. Da ist es schwierig nicht zuzunehmen.
Was also tun? Hier ein paar wirksame Gegenstrategien:
Kleine, besondere Leckereien, die oft schon alltäglich geworden sind, weglassen. Auf diese Weise kann man Kalorien und gewisse problematische Nährstoffe reduzieren und erreicht eine gesündere Ernährungsweise, mit der man sogar etwas Gewicht verlieren kann. Das haben wir natürlich alle schon einmal gehört, aber der Unterschied ist, dass wir jetzt unseren „Feind“ kennen: Es ist nicht das Fett und es ist nicht der Zucker. Es ist die süchtig machende köstliche Mischung aus Fett und Zucker.
Vergessen Sie die Heilsversprechen all jener, die predigen, dass nur ihre ganz besondere Ernährungsweise die einzig richtige sei. Das eigentliche Geheimnis liegt in einem ganzheitlichen Herangehen an das Thema Ernährung. Ernährung, bei der man nicht glaubt, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel, eine bestimmte Diät die Errettung oder ein Übel sei, sondern vielmehr eine insgesamt ausgewogene Ernährung.
Kochen Sie wieder selbst. Lassen Sie industriell verarbeitete Lebensmittel weg, bei denen Sie nicht wissen können, was sie enthalten. Verwenden Sie unbearbeitete Zutaten.
Zelebrieren Sie das Essen, essen Sie langsam, kauen Sie lange, genießen Sie mit allen Sinnen. Essen Sie im Sitzen an einem Tisch – und machen Sie in diesem Moment das Essen zur Hauptsache!
Und lassen Sie diese 50 : 50 Fett-Zucker-Mischung weg, bei der man einfach nicht aufhören kann zu essen. Wir sind keine Ratten. Wir haben die Wahl.